Haben Sie sich jemals gefragt, wie viel positiven Austausch Sie im Vergleich zu negativem Sie haben?
Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und reflektieren Sie das letzte Mitarbeitendengespräch - egal in welcher Rolle: War der Tenor grundsätzlich eher positiv oder fühlte sich das Meeting weniger motivierend an?
Eines gleich vorweg, solche Gespräche können nicht immer zufriedenstellend für alle Parteien ausfallen, denn auch die unangenehmen Dinge müssen adressiert werden. Und da bleibt es meiner Erfahrung nach nicht aus, dass der/die Betroffene sich auch mal gekränkt fühlt. Das gehört dazu. Wir sind alle Menschen mit Gefühlen, Erfahrungen und verschiedenen Verarbeitungsmechanismen.
Trotzdem ist es sehr sinnvoll darüber nachzudenken, ob Ihre Kommunikation generell eher einen positiven oder einen negativen Charakter hat. Sie fragen Sich warum?
John Gottman, US-amerikanischer Psychologe und Professor für Psychologie an der University of Washington, stellte nach Jahrzehnten der Forschung fest, dass gut funktionierende Beziehungen unmittelbar mit dem Verhältnis zwischen positivem und negativem Austausch zusammenhängen.
Prof. Gottman ging sogar noch einen Schritt weiter und entwickelte eine Formel, die uns helfen soll, gute Gespräche zu führen und somit unsere Beziehungen zu stärken. Unabhängig vom Inhalt. Egal, ob zu Hause oder im Job.
Was macht eine echte Partnerschaft aus?
Ursprünglich untersuchte er das Verhältnis zwischen positivem und negativem Austausch bei Ehepartnern. Er wollte herausfinden, was eine echte Partnerschaft ausmacht. Heute kann er wohl mit einer Trefferquote von über 90% vorhersagen, ob ein Paar in der Zukunft zusammenbleibt oder nicht. Er beobachtet die Gesprächsmuster der Testpaare oft nur für wenige Minuten, bevor er zum - fast immer richtigen - Ergebnis kommt. Wie ihm das gelingt? Er benutzt ein von ihm entwickeltes Modell - eine Art Formel: Er fand heraus, dass in gesunden Beziehungen das Verhältnis zwischen positivem und negativem Austausch bei fünf zu eins liegt.
In gesunden Beziehungen liegt das Verhältnis zwischen positivem und negativem Austausch bei fünf zu eins
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass es für jedes negative Gefühl oder Interaktion zwischen Partnern fünf positive Gefühle oder Interaktionen geben muss. Stabile und glückliche Paare teilen mehr positive Gefühle und Handlungen als Negative.
Spannend. Die große Frage ist nun, wie wir dieses Wissen in unserem Arbeitsalltag als Teamleads anwenden können?
First things first: Positiver Austausch bedeutet nicht "Ab jetzt nur noch gute Nachrichten". Das konstruktive Besprechen eines Problems kann natürlich auch als positiver Austausch wahrgenommen werden. Es geht hier also nicht so sehr um das WAS, sondern um das WIE.
Vielleicht müssen wir uns auch nicht genau an die die 5/1 Regel in unserer Kommunikation mit allen Stakeholder in der Organisation halten. Aber trotzdem mal zu beobachten, wie die Kommunikationsmuster bei Ihnen sind, kann sehr aufschlussreich sein. Und da lassen Sie uns doch konkret werden. Beobachten Sie bewusst genau diese Muster. Direkt in Ihrer nächsten Konversation.
Eher negativ oder eher positiv?
Benutzen Sie viele Füllwörter, die eher als negativ wahrgenommen werden wie z.B. aber, vielleicht, etwa, bloß, gar, eigentlich?
Gehen Sie mit einem Lächeln in das Meeting? Klar, das geht nicht immer, aber möglicherweise doch öfter als Sie denken.
Wie begrüßen Sie die Leute am Anfang von Meetings und mit was für einem Gefühl schicken Sie sie in den Tag?
Sind Sie auf das Meeting vorbereitet?
Sie können die Liste in Gedanken weiterführen. Was fördert bei Ihnen positive Interaktion?
Wie sieht die Umsetzung aus?
Ich mag es gerne, ein bisschen zu experimentieren. Für mich gibt es keinen richtigen oder falschen Ansatz, sondern eine für die jeweilige Person passende Herangehensweise. Die gilt es zu erforschen.
Ich fände es zum Beispiel schwierig, würde jemand zu mir sagen: Jules, ab heute musst Du in jedem Meeting mindestens 3 gute Witze machen, um positiven Austausch mit Deinen Leuten zu fördern. Das würde bei mir so nicht funktionieren. ABER: Die Formel ergibt Sinn für mich und ich möchte lernen, sie in kleinen Schritten anzuwenden.
Ich beginne damit, einen klassischen Arbeitstag im Home-Office zu durchdenken und zu überlegen, wie sich das umsetzen lässt. Das fängt unter Umständen ganz banal an: In meinem ersten digitalen Workshop sage ich als Ice-Breaker zu den Teilnehmenden so etwas wie: „Was für ein Hundewetter heute hier in Potsdam. Ist es bei Euch such so grau?“ Was wäre aber, wenn ich stattdessen sage, dass ich mich wirklich sehr auf die Weihnachtszeit freue, weil ich das tatsächlich tue! Es ist ein minimaler Shift, hat allerdings Potential, eine gute Wirkung zu erzeugen.
Als nächstes steht das Daily Stand-Up an. Auch hier gehe ich einmal in Gedanken bewusst durch, wie bei mir das Verhältnis generell zwischen positiven und negativen Austausch ist und entscheide mich bewusst, meine persönliche Kommunikation positiver zu gestalten. Ein Lächeln, ein anerkennender Blick, ein zustimmendes Nicken, ein Danke, wenn ein Danke angebracht ist, können bereits den Unterschied machen. Ich bin präsent, meine Kamera ist an, das Telefon ist außer Sichtweite. Volle Aufmerksamkeit bei meinen Leuten.
Unter Umständen muss ich mich hier etwas bemühen, weil mein Kommunikationsstil einfach anders ist. Manche Personen kommunizieren eher zurückhaltend, weniger enthusiastisch und generell sachlicher. Gehören Sie zu diesem Typ, dann spüren Sie wahrscheinlich eher Widerstand beim Lesen dieser Zeilen und dem konkreten Vorschlag, die Formel anzuwenden. Sie können probieren, sich mit dem positiven WAS auszuhelfen.
Überlegen Sie konkret, was Ihnen am Team, am Projekt, am Kunden etc. gefällt. Oder wie es sich anfühlen wird, wenn das langwierige Projekt erfolgreich abgeschlossen wird. Vielleicht wird so ein Schuh daraus.
Ich arbeite mit großen und kleinen Unternehmen zusammen und moderiere seit vielen Jahren Workshops zum Thema Kommunikation und Führungsstil. Wenn ich mit den Teams zusammenarbeite, höre ich eine Beschwerde immer wieder: „Unser Teamlead zeigt ihre/seine Anerkennung zu selten.“
Ein positives WAS ist unter Umständen also nicht nur Ihr Mittel, um bessere Gespräche zu führen und die Beziehungen zu stärken, es hilft auch den Mitarbeitenden persönlich (Stichwort Motivation und Zugehörigkeitsgefühl). Hier soll noch eines erklärt sein: Wir können jetzt zu dem Schluss kommen, generell einfach mehr Lob zu spenden, aber meiner Erfahrung nach reicht das nicht aus. Mitarbeitende kriegen schnell mit, wenn solche „Maßnahmen“ eingeführt werden und fühlen sich dann unter Umständen manipuliert. Lob wie auch positives Feedback sind auch eher Reaktionen auf eine vorangegangene Handlung. Also bitte vor dem Meeting vorbereiten, wissen, was gut läuft und es anerkennen.
Kommunikation, die dauerhaft positiv ausgerichtet ist, motiviert Mitarbeitende automatisch. Sie fühlen sich ermutigt, gestärkt und unterstützt. Die Arbeit macht ihnen mehr Freude und sie werden sich deutlich mehr ins Zeug legen, denn die gesamte Arbeitsatmosphäre fühlt sich besser an. Und natürlich haben hier auch Fehltritte, Kritik und Misserfolge ihren Raum.
Mir ist klar, dass es nicht allen Menschen gleich leicht fällt, die Fünf zu Eins Formel anzuwenden.
Vielleicht starten Sie erstmal mit der bewussten Beobachtung Ihrer Kommunikation. Stellen Sie sich die Frage: Wie oft kommuniziere ich bewusst positiv? Vielleicht fühlt es sich so an, dass es etwas Spielraum gibt und dann probieren Sie es doch einfach mal aus. Niemand erwartet von Ihnen, zum nächsten Dale Carnegie zu mutieren. Aber so kleine Experimente, die zur Optimierung unserer Skills beitragen, machen oft einen großen Unterschied.
Ich könnte jetzt meinen gesamten Arbeitstag weiter so beschreiben wie oben, aber Sie haben das Prinzip verstanden. Probieren Sie es aus, wenn Sie einen Moment Zeit haben.
Workhack: Highlights des Tages/Journaling
Eine weitere Methode, um den positiven Dingen um uns herum mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ist so einfach wie effektiv. Schreiben Sie am Ende Ihres Arbeitstages 3 bis 5 Punkte auf, die an diesem Tag positiv gelaufen sind. Es hat den Vorteil, dass Sie das Büro wahrscheinlich mit einer besseren Stimmung verlassen werden und Sie haben bereits das Daily Stand-Up mit vorbereitet. Versuchen Sie aus dieser Dokumentation ein kleines Ritual zu machen. Wenn Sie es 6 Wochen durchhalten, ist es im System, angewöhnt und wird seine Wirkung zeigen - sicher auch schon deutlich früher.
Wir sind damit natürlich nicht am Ende, wenn es um Tools und Methoden geht, um positive Kommunikation zu üben. Ich mag die beiden oben genannten Methoden sehr gerne und schlage vor, erstmal diese auszuprobieren und die Wirkung zu beobachten.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg dabei.
Wie immer freue ich mich über Feedback, Fragen und Hinweise.
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